von Dr. Reiner Czichos

Hat die C-Krise die Transformation beschleunigt? Nicht wirklich!

Mit CEDO den digitalen Transformationsprozess voranbringen

„Wir sind bei der digitalen Transformation auf einem guten Weg. Unsere IT-Abteilung hat jetzt gerade wieder eine App gebaut, mit der wir die Kundendaten für alle Außendienstmitarbeiter verfügbar machen. Klasse, was das IT-Team mal wieder geleistet hat.“ So äußerte sich sehr stolz der Vorstand eines mittelständischen Unternehmens in einem „Future Meeting“. Zu befürchten ist nur, dass Vorstand und Unternehmen noch nicht in der Realität angekommen sind.

ctn Changemanagement

Bild: ©Philip Steury – stock.adobe.com

Denn um die digitale Transformation zu stemmen, genügt es nicht, technische Lösungen zu finden. Nein, wir stehen vor strukturellen und systemischen Veränderungen, die sich mit Apps allein nicht lösen lassen. Die digitale Transformation stellt vielmehr einen Kulturwandel dar, der  ganzheitliche Veränderungen auf allen Unternehmensebenen voraussetzt und weitergehend wirkt. Aller Erfahrung nach heißt das: Die Unternehmensprozesse und -strukturen müssen allesamt daraufhin abgeklopft werden, ob sie fit sind für den durch die Digitalisierung hervorgerufenen Change.

Endlich die digitalen Hausaufgaben erledigen
„Jetzt haben wir extra dieses Collaboration-Tool angeschafft … und kaum einer nutzt es mit all seinen Funktionalitäten!“ Auch das ist in den Unternehmen häufig zu hören. Warum? Weil mal wieder irgendeine Software der Firma, der Abteilung, dem Team und den Mitarbeitern im Namen der digitalen Transformation übergestülpt wurde. Was leider versäumt wurde: Den Menschen wurde die Notwendigkeit für jenes Tools erläutert. Und wahrscheinlich wurde dessen Einsatz auch nicht auf die bestehenden Abläufe und auf die Rollen der Mitarbeiter abgestimmt.

Unternehmensberatungen empfehlen dringend, zum Beispiel Innovation-Labs einzurichten und vollkommen neue Geschäftsideen zu entwickeln. Natürlich besser
heute als morgen – die Portal-Ökonomie bläst kräftig die Backen auf. Jedoch: Statt blindlings raschen Ratgebern nachzulaufen, die den Unternehmen weismachen
wollen, sie müssten unbedingt in die Cloud, auf Künstliche Intelligenz setzen, die pragmatische Ambidextrie durchführen und die Organisationskultur agilisieren, sollte sich jedes Unternehmen besser fragen: „Welche unternehmensindividuellen Schritte befähigen uns, den digitalen Veränderungsprozess zu bewältigen? Und zwar auf der Grundlage unserer bestehenden und ggf. verschlankten Prozesse und mit Rücksicht auf die beteiligten Menschen?“

Traurige Erkenntnis: Wie bei allen Changeprozessen ist bei der Digitalisierung zu konstatieren, dass die meisten Unternehmen einfach noch nicht ihre Hausaufgaben
gemacht haben: Weder Führungskräfte und Mitarbeitende, noch die organisatorischen Strukturen und Prozesse sowie die Unternehmenskultur, oft selbst
nicht einmal die IT-Infrastruktur und die IT-Abteilung, sind bereit, die Digitalisierung anzugehen. Technisch vielleicht ja, aber keinesfalls kulturell. Was ist zu tun?

CEDO-Position auf Geschäftsführerebene einrichten
Die digitale Transformation sollte als umfassender Changeprozess definiert werden. Natürlich muss solch ein Projekt von der Geschäftsleitung und dem Management
angestoßen und begleitet werden. Es geht halt nicht um ein IT-Projekt, sondern um einen das gesamte Unternehmen betreffenden Changeprozess. Ziel sollte sein, alle Prozesse, Strukturen und Rollen so zu redesignen und die Menschen so vorzubereiten, dass das Unternehmen in der Lage ist, den Transformationsprozess
erfolgreich anzugehen.

Darum ist es klug, auf Geschäftsführungsebene mit dem Chief Enterprise Development Officer – dem CEDO – eine Position zu etablieren, mit der sich das Unternehmen eine Organisationsstruktur gibt, mit der sich die digitale Transformation stemmen lässt.

Bei dem CEDO handelt es sich um keine freischwebende Einzelperson, die im Alleingang die Voraussetzungen für die digitale Transformation schaffen soll. Er/sie steht in der Geschäftsführung gleichberechtigt neben den anderen Mitgliedern der Geschäftsführung oder des Vorstandes und den Ressort- und Bereichsleitern. In sein/ihr Ressort gehören die Bereiche, die die Entwicklung des Unternehmens vorantreiben könnten: HR mit Personalentwicklung und die Unternehmensentwicklung selbstverständlich, aber auch die IT; die Unternehmenskommunikation sowieso. IT und HR/PE zusammen in einem Bereich? Nicht ungewöhnlich. Der Autor kennt einige mittelständische Unternehmen, die zu genau dieser Lösung gekommen sind, weil sie die Anzahl der Mitglieder der Geschäftsführung übersichtlich halten wollen; diese sind jetzt für die digitale Transformation besser ausgestattet, wenn sie denn dieses Potential nutzen.

Entscheidend ist, dass der CEDO – gemeinsam mit seinem Team – die Voraussetzungen schafft, dass dem gesamten Unternehmen die Transformation gelingt. So sendet die Geschäftsführung überdies das Signal aus, dass Change nicht eine einmalige Sache ist, sondern ein Dauerzustand, weil sich mit den immer neueren digitalen Innovationen permanent überraschende Veränderungen im Markt, bei den Kunden und den Konkurrenten ergeben, auf die das Unternehmen reagieren muss. Der CEDO ist Change Agent, dessen Tag-und-Nacht-Beschäftigung darin besteht, die notwendigen Veränderungen zu erklären, Anhänger zu gewinnen und die Entwicklung Schritt für Schritt voranzutreiben. Und das auf eine Weise, dass die
Menschen folgen wollen und können.

Verbindungsstellen statt Schnittstellen
Eine der CEDO-Aufgaben muss aufgrund ihrer Bedeutung hier näher ausgeführt werden: Er/sie muss die Konsequenzen der digitalen Transformation für alle internen Prozesse durchdenken und das Silodenken in den unterschiedlichen Abteilungen beenden. Er/sie denkt und handelt ganzheitlich und prüft, welche Anpassungsprozesse in Führung, HR, Vertrieb, Marketing, Innovation/Entwicklung, Service und Logistik und in der IT notwendig sind, um die digitalen Herausforderungen zu meistern.

Silodenken in diesem Kontext bedeutet, dass jede Abteilung für sich überlegt, was notwendig ist, um mit den anstehenden Aufgaben fertigzuwerden. Eventuell werden noch die gemeinsamen Schnittstellen oder Berührungspunkte beachtet. Ein ganzheitlicher Ansatz allerdings fehlt. Ein CEDO geht anders vor: Er/sie holt die entscheidenden VertreterInnen aller Abteilungen an den runden Tisch, um im Zusammenhang Transformations-Impulse zu setzen. Dazu führt er/sie ImpulsWorkshops durch, die den kreativen Ideenaustausch fordern, ermöglichen und fördern. Silodenken ade! Dazu gehört, dass die Beteiligten die Folgen einer Veränderung im eigenen Bereich für die anderen Bereiche ins Kalkül ziehen. Es gibt eben nicht nur Schnittstellen oder oberflächliche Berührungspunkte zwischen den Abteilungen, sondern existentielle Verbindungsstellen. Darum entwickeln und realisieren CEDOs mit ihren Teams Vernetzungsstrategien – mit der Konsequenz, dass sich die einzelnen Transformationsaktivitäten und -maßnahmen zu einem runden Ganzen fügen.

Gemeinsames Selbstverständnis entwickeln
Letztendlich geht es darum, unter Mitwirkung der Abteilungen ein gemeinsames Selbstverständnis und einen Umsetzungsplan zu entwickeln und festzulegen, an
dessen Ende die Kompetenz steht, mit vereinten Kräften die digitale Transformation zu managen. Das bedeutet: Ziel ist nicht der digitale Veränderungsprozess an sich und um seiner selbst willen, sondern die Beantwortung der Frage, wie der Weg dorthin gemeinsam, strukturiert und gut vorbereitet beschritten werden kann. Welche Schritte bewirken, dass der Transformationsprozess dazu beiträgt, die Unternehmensziele zu erreichen?

Natürlich wird insbesondere der IT-Abteilung einiges abverlangt. Denn sie soll ja nicht länger der Träger des Entwicklungsprozesses sein, sondern eine mehr dienende Funktion übernehmen. Gerade die IT-Verantwortlichen müssen umdenken und lernen, sich in den Dienst der digitalen Transformation zu stellen. Genau so aber auch die HR-Mitarbeiter.

Die Aufgaben des CEDO
Das Credo des CEDOs und seines Teams lautet: „Nicht überstülpen und aufzwingen, sondern erläutern, anpassen und mitnehmen!“ Aber darin erschöpfen sich die Aktivitäten natürlich nicht:

  • Wenn sich Unternehmensziele und -strategien und organisatorische Prozesse oder Strukturen ändern, dann ändern sich auch die Rollen von Mitarbeitern und die Anforderungen an die Mitarbeiter. Darum gehören Personalentwicklung und Organisationsentwicklung zusammen.
  • IT wird zu ICT, das heißt zu „Information and Communication Technology“. Schließlich ist die Informationstechnik am Ende nur das Mittel, die Kommunikation im Unternehmen und zu Kunden etc. insgesamt zu optimieren.
  • Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und ICT müssen sich in allen Projekten aufs Engste abstimmen und zusammenwirken.
  • Dem CEDO untersteht auch das Projektbüros, von dem alle Changeprojekte koordiniert werden. So kann er dafür sorgen, dass alle internen Projektleiter, die externen Berater und alle sonstigen Experten, ohne sich gegenseitig aus Angst vor Know-how-Klau abzuschotten, an einem Strang ziehen (Open Collaboration).

Notwendige CEDO-Kompetenzen
Der CEDO muss sich in den unternehmensinternen Prozessen hervorragend auskennen und über den Tellerrand der unternehmensinternen Abläufe hinausblicken. Darum könnte ein externer Berater als Sparringpartner des CEDO notwendig sein.

Des Weiteren verfügt er über die kommunikative Kompetenz, den Informationsfluss zwischen allen Beteiligten, Betroffenen und Entscheidern aufrechtzuerhalten und zu garantieren. Eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit besteht in der Visualisierung – konkretes Beispiel: Der Projektmanager versteht es, die Verbindungen zwischen den Abteilungen anschaulich und plastisch darzustellen, sodass die Betrachter sofort die Vernetzung, Abhängigkeiten und Zusammenhänge zwischen den Abteilungen einschätzen und überdies beurteilen können, welche Auswirkungen und Folgen die Aktivität einer Abteilung auf alle anderen hat. Die Beteiligten erkennen „auf einen Blick“ die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Umsetzungsschritten.

Der CEDO ist kompetent, den ganzheitlichen Ansatz der Transformation zu verdeutlichen. Das sorgt für Klarheit, Transparenz und Motivation, weil die Menschen sehen, dass und wie jede Einzelmaßnahme zur Erreichung des Gesamtzieles beiträgt.

Fazit: In der Realität angekommen
Die digitale Transformation darf nicht in die Verantwortung einer traditionellen operativen IT-Abteilung gelegt werden, sie ist eine Aufgabe des Managements, das dazu die Position des Chief Enterprise Development Officers auf Geschäftsführerebene etabliert. Der CEDO bündelt als Change Agent und Projektmanager die Interessen und Aktivitäten der Abteilungen derart, dass der Transformationsprozess einen existentiellen Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele leistet.

Die ersten Aufgaben des CEDO

Sobald die Geschäftsführung die CEDO-Position implementiert hat, sollte der CEDO mit seinem Team die folgenden elementaren Aufgaben angehen:

  1. In einem Kick-off-Workshop mit dem gesamten erweiterten Geschäftsführungsteam die Herausforderungen (Chancen und Risiken) der digitalen Transformation für das Unternehmen thematisieren (eventuell mit Hilfe externer Berater) und alle informieren. Dann die Betroffenen zu Beteiligten entwickeln, die sich aktiv an den Veränderungsprozessen mitwirken.
  2. Alle größeren Prozesse (Produktentwicklungsprozess, Accountmanagementprozess, etc.) im Unternehmen, die nach ISO-Vorgaben in langen Flow-Charts dokumentiert sind, jeweils zusammen mit den Mitarbeitern in übersichtlicher Form auf einer einzigen Seite vereinfacht darstellen. So sehen die Mitarbeiter, was jeweils ihre Rollen und Aufgaben in den Phasen der Prozesse sind. So wird nicht nur Übersicht möglich, sondern auch das Prozessdenken gefördert.
  3. Die herkömmlichen Stellenbeschreibungen abschaffen und stattdessen Rollenbeschreibungen und Zielvereinbarungen einführen.

Die Konsequenz: Das Unternehmen kann die komplexen Herausforderungen erkennen und aktiv angehen, um letztendlich auch den Kulturwandel zu realisieren, der durch die digitale Transformation notwendig bzw. ermöglicht wird.

Der Autor
Dr. Reiner Czichos ist Experte für professionelles Veränderungsmanagement und arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Coach, Berater, Trainer, Moderator, Organisations- und Personalentwickler sowie als Autor. Unter dem Motto „Das einzig Stabile ist die Veränderung – und Veränderung ist Fortschritt“ wendet er sich an Unternehmen, die unter Veränderungsdruck stehen. Mit Hilfe seiner langjährigen Erfahrung zeigt er Führungskräften und Mitarbeitern, wie sie erfolgreich Changeprozesse implementieren können. Seit 2016 ist er Lehrbeauftragter an der Donau-Universität Krems (Universität für Weiterbildung) und dort als „Co-Leader Praxis im Transdisziplinären Lab für Sustainable Digital Environments“ tätig. Seit 2019 ist er neben seiner Berater- und Coach-Rolle als Faszilitator (Moderator, Manager und Autor) im Forschungsprojekt „Digitale Daten als Gegenstand eines transdisziplinären Prozesses (DiDaT)“  http://www.didat.eu/startseite.html für das Forschungsgebiet „KMU und Digitalisierung“ tätig.